Die Gr.-Peterwitzer Spitznamen

In Gr.-Peterwitz ist eine Besonderheit im Bereich der Namenkunde festzustellen, der man etwas Aufmerksamkeit schenken sollte. Diese Eigenart hat sprachliche Grundlagen und ist mit der mährischen Sprache verbunden, die in Peterwitz früher – beson-ders im 19. Jh. – gebraucht wurde. Der größte Teil der hiesigen Familien verwendete – außer dem Familiennamen – noch einen Bei-, Spitz- oder Hausnamen, wobei die Letzten mit den Wirtschaften verbunden waren. Diese Zusätze waren nötig, um die einzelnen Familienzweige unterscheiden zu kön-nen.

Im Einwohnerbuch des Kr. Ratibor für 1943, wird z.B. in Kranowitz/Kranstädt der Name „Josef Lamla“ mit zusätzlichen Nummern I. bis V. geführt. Ebenso ist  es mit „Josef Philipp“ (I. bis V.) oder Josef Ternka (ebenfalls I. bis V.). In Gr.-Peterwitz hingegen wurden keine Nummern sondern Beina-men gebraucht die es ermöglichten beispielsweise jeden der fünf Josef Mludek zu unterscheiden.

Es sollte bemerkt werden, dass z. B. die einzelnen Zweige der Familie „Newerla“ folgende Beinamen trugen: Hunczek, Kolaska, Kolosch, Modesta, Marosch, Musiol, Newyrla, Pawlassek, Scheitor, Zumbik und Żurek. Der Verfasser dieser Kurzabhandlung  stellte sich den älteren Bewohnern mit „Paul Kolosch“ oder „Paul von Kolosch“ vor (das ‚von‘ ist natürlich nicht als Adelsprädikat anzu-sehen). Der Urgroßvater Johann Nepomuk Newerla lernte das Stellmacherhandwerk und heiratete 1844 die Tochter seines Meisters – Klara Kunoth – wonach er die Werkstatt seines Schwiegervaters auf der damaligen ‚Großen Seite‘ übernahm. Mit der Zeit wurde Johann Newerla zusätzlich mit dem Spitz-namenKolosch‘ (Radmacher) bezeichnet.

Einige der berufenen Beinamen der Newerlas, wie z. B. Modesta oder Zumbik sind verschwunden, da die Familienzweige ausgestorben sind. Bei dieser Gelegenheit sollte das Entstehen einiger Beinamen erörtert werden. Die Wirtschaft in der Johannesstr. 184 (jetzt ul. Wyzwolenia 31), die heute der Familie Mika gehört, war seit 1772 Eigentum der Newerlas. Peter Newerla übernahm den Bauernhof 1832. In den Peterwitzer Taufbüchern wird bei den Geburten des Franz (*1835) und Peter (*1837) der Name des Vaters mit „Newerla vulgo (allgemein) Scheithauer‘ angegeben. Es konnte festgestellt werden, dass dieser Bauernhof im 18. Jh. Josef Scheithauer gehörte. Im Sterbebuch von 1755 befindet sich die lateinische Eintragung: Maria Barbara Josephi Scheithauer molitoris hujatis filia, also „Maria Barbara, Tochter des hiesigen Müllers Joseph Scheithauer“. Es sei bemerkt, dass das Bauerngut vor 1771 ebenfalls einem Müller – Christoph Mrasek – gehörte. Der Name ‚Scheithauer‘ musste wohl für die mährisch sprechenden Peterwitzer zu schwierig oder zu lang gewesen sein. Jedenfalls als Peter 1848 starb wurde er im Totenbuch mit „Newerla vulgo Scheitor“ eingetragen. Sein Enkelsohn Karl starb 1986 kinderlos im Alter von 89 Jahren und somit endete der Familienzweig Newerla-Scheitor. Die Wirtschaft wurde jedoch 1923 vom Neffen seiner Frau – Johann Mika und dessen Frau Martha übernommen. Obwohl die Bauernwirtschaft schon in der dritten Generation von den Mikas geführt wird, ist der Beiname „Scheitor“ weiterhin im Gebrauch. Hier geht es also um einem deutlichen Hausnamen, der auf die späteren Besitzer überging und dabei noch umgestaltet wurde.

Es sollte hervorgehoben werden das die Groß-Peterwitzer Beinamen geschichtlich fundiert sind und größtenteils aus Urkunden stammen. In den Gr.-Peterwitzer Kirchenbüchern, die übrigens deutsch geführt waren, wurden sehr oft zum Familiennamen noch die Beinamen eingetragen, damit keine Zweifel entstehen um wen es geht, wenn z. B. am 11. Januar 1852 „Matthias Gotzmann – vulgo Řzehorzek“ starb. Außer den schon erwähnten Newerla-Scheitors gibt es viele weitere Beispiele.

In der nachfolgenden Liste wurden die Beina-men aufgeführt, die vor 1945 im Anwendung waren. Viele dieser Bezeichnungen sind aus verschiedenen Gründen nicht mehr im Gebrauch. Deswegen sollten aufgrund der Groß-Peterwitzer Kirchenmatrikeln einige Spitznamen berufen werden, die sogar den ältesten Peterwitzern nicht mehr bekannt sind: Baran, Dombek, Flascher, Laczny, Lexander, Mika-schek, Otka, Straka, Studniorz oder Suchodolski.

Die Beinamen können auf einigen Gruppen aufgeteilt werden. Es braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden, dass der größte Teil der Beinamen mährischer Herkunft ist, da das Mährische die Umgangssprache der Dorfbewohner war. Die mährischen Sprachkenntnisse sind jedoch heutzu-tage sehr gering. Wir werden jedoch die – vor allem für die Nachkriegszeitgeneration – verständlicheren polnischen Buchstaben anwenden, besonders im Bereich der sogenannten Zischlaute. Für diejenigen, die das Polnische nicht verstehen, sollte die Aussprache einiger Konsonanten kurz erläutert werden: ‚cz‘ = tsch, ‚ł‘ = u (wie ‚w im englischen window), ‚rz‘ und ‚ż‘ = hartes ‚sch‘ (wie das ‚j‘ im französischen jardin), ‚sz‘ = sch.

Da sind allgemeine Spitznamen, wie Polywka (von polífka = Suppe), Rzeha, Czabania, Szczyrba (ausgesprochen: Schtschürba), Gruschka (Birne) oder Żeleźniok (Alteisensammler). Andere Beinamen sind von Namen abgeleitet, wie z. B. Rzehorzek (von der mährischen Fassung des Vornamens ‚Gregor‘, jedoch in verkleinerter Form, wie etwa ‚Franzl‘ von ‚Franz‘) oder Błażek (von Blasius). Weitere Spitznamen hängen mit Bezeichnungen verschie-dener Berufe oder Tätigkeiten im Zusammenhang: Ceglosch (von Ziegel, Ziegeleibesitzer), Kolosch (Radmacher, Stellmacher), Stolorek (Tischler), Kowaliczek (kleiner Schmied, wobei jedoch zweifel-haft ist, ob der Schmied kleiner Körpergröße oder die Schmiedewerkstatt klein war) ja sogar Zimny Kowol (kalter Schmied). Auch da gab es Sonder-lichkeiten. Auf der Ratiborer Str. 150 (jetzt ul. 1 Maja 36 – Paletta) wurde eine große Schmiede von Johann Wachtarz geführt, der den Spitznamen „Schmitko“ führte, was eine mährische Umänderung des deutschen Hauptwortes Schmied ist. Zu den schon erwähnten Beispielen von Umänderungen der Beinamen sollte noch eins erwähnt werden. Die Hausstelle Labud in der Mittelstraße (ul. Średnia) führte ehedem den Spitznamen ‚Bäuerle‘ (wobei auch hier unklar ist, ob es um die Größe der Wirt-schaft ging oder den Wuchs des Besitzers), der sich in das völlig unverständliche Pajerla umwandelte, wenn man die Urbezeichnung nicht kennt.

Bedeutsam ist auch die Anzahl der Spitznamen die mit den einzelnen Familiennamen verbunden sind. Im letzten herausgegebenen Adressbuch des Kr. Ratibor von 1943 gibt es 21 den Namen Wollnik, mit denen 6 Spitznamen verbunden sind: Honczek, Jurek, Liberus, Ostry, Schymroch und Hermann; den Beinamen Hermann trugen jedoch sechs Brüder. Für 15 Familien Gotzmann gibt es lediglich drei Beinamen: Kapsik, Rzehorzek und Stolorek, wobei der größte Teil der Gotzmanns von ‚Kapsikabstam-men. Nebenbei gesagt war diese Bezeichnung anfänglich mit der Ausführung des Schneider-handwerks mit begrenzten beruflichen Qualifika-tionen verbunden. Dieser Schneider spezialisierte sich im Nähen von Rock- und Hosentaschen, mäh-rischKapsa‘ genannt, woraus ‚Kapsik‘ (‚Hosner‘) wurde.

Beenden möchten wir die Ausführungen mit einer Anekdote, die jedoch auf Wirklichkeit beruht. Auf der Leobschützer Str. (ul. 1 Maja) an der Kreuzung mit der unbenannten Gasse die (ehedem neben Fuß) zur Bernardstraße (ul. Wyzwolenia) führt, stand ein langjähriger Bewohner dieser Gegend. Mit einem Auto kam ein Fremder ange-fahren, der nach Krettek fragte. Es wurde ihm die Hausstelle Nr. 89 (jetzt ul. 1 Maja 81) gezeigt. Nach kurzer Zeit kehrte der Fremde zurück und fragte ob sein Informator hier schon lange wohnt. Dieser antwortete: — Fast zehn Jahre. Der Fremde wunderte sich, dass man seine Nachbarn nicht kennt, denn unter der Nr. 89 wohnt Martzinek und nicht Krettek. Der Peterwitzer beharrt bei seinem. Unterdessen näherte sich der Bauer, der unter der Nr. 85 (ul. 1 Maja 77) wohnt und fragt seinen Nachbarn, ob er auch weis, wie er heißt? — Natürlich, Du heißt ‚Balzar‘. — Falsch, ich heiße Krettek

Daraus ist zu ersehen, dass sich die Peterwitzer besser nach den Spitz-, als nach den Familien-namen kennen.

[aufgrund: Paweł Newerla: Z morawskiej przeszłości wsi Pietrowice Wielkie

(Aus der mährischen Vergangenheit von Gr.-Peterwitz)

[in:] Dziedzictwo kulturowe pogranicza śląsko-morawskiego

(Das Kulturerbe des schlesisch-mährischen Grenzgebiets), Racibórz 2002]